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DIGITALISIERUNG IN BIBLIOTHEKEN. Die Stadtbücherei am Ernst-Reuter-Platz

Alina Wandelt

Der Ernst-Reuter-Platz ist nicht nur ein besonderer Platz in Augsburg, sondern beherbergt auch eine besondere Kulturinstitution: Mitten auf dem Platz befindet sich seit 2009 die Zentralbibliothek der Stadtbücherei Augsburg und damit die am meisten frequentierte Kulturinstitution der Stadt Augsburg. Seit zwölf Jahren ist die Zentralbibliothek hier in einem Neubau des vom lokal ansässigen Architekturbüro Schrammel entworfenen Gebäudes untergebracht. Für die Stadtbücherei stellte der Umzug damals, so der ehemalige Leiter der Stadtbücherei Manfred Lutzenberger, einen „Quantensprung“ dar. Die Fläche hat sich verfünffacht und mit ihr die Anzahl der Besucher:innen. Auch architektonisch hat sich die Bibliothek stark verändert. Große, offene Räume, ein barrierefreier Zugang und eine Gestaltung, die kräftige Farben, glatte Oberflächen und eine übersichtliche Raumordnung favorisiert, kennzeichnen die Architektur aus heutiger Sicht als typisches Bibliotheksgebäude der 2010er Jahre. An der Bauweise des Bibliotheksgebäudes am Ernst-Reuter-Platz lässt sich aber nicht nur etwas über Architektur und Stadtplanung lernen. Auch weiter greifende gesellschaftliche Entwicklungen finden in der Stadtbücherei ihren Ausdruck. Mit der flächendeckenden Ausbreitung des Internets als zentraler Informations- und Kommunikationsinfrastruktur Mitte der 1990er Jahre fällt eine wichtige Funktion von Bibliotheken weg. Wozu dienen Bibliotheken aber, wenn Wissen zu jeder Zeit und an jedem Ort verfügbar ist? Obsolet geworden sind Bibliotheken durch Digitalisierung nicht, sie haben sich als Institutionen, Orte und Architekturen in den letzten fünfundzwanzig Jahren aber von Grund auf gewandelt. Am Beispiel der Stadtbücherei in Augsburg lassen sich einige der wichtigsten Veränderungen dieser Entwicklung nachvollziehen. 

 

Während einige Funktionen weniger wichtig werden, kommen andere Anforderungen hinzu. So richtet die Stadtbücherei 2001 die ersten öffentlich zugänglichen Internetarbeitsplätze ein. Denn noch ist es weder bezahlbar noch üblich, einen Computer mit Internetzugang zu besitzen, geschweige denn ein mobiles Gerät, über das der Zugang ins Internet führt. Es geht also nicht mehr nur um eine Bereitstellung von Informationen, sondern auch um eine Bereitstellung von Technik, über die vermittelt auf diese zugegriffen werden kann. Auch die bibliothekarische Arbeit verändert sich dadurch. Bibliothekar:innen heute übernehmen zunehmend medienpädagogische Aufgaben und schulen Nutzer:innen im Umgang mit Datenbanken, aber auch den jeweiligen Geräten, der Hardware der Digitalisierung. Denn auch wenn sich mittlerweile viele Angebote der Bibliothek auch von zuhause aus nutzen lassen, ist der Umgang mit den neuen Angeboten nicht für jede:n intuitiv. 

 

Aus bibliothekarischer Sicht ist die wichtigste Zäsur der neueren Bibliotheksentwicklung dabei nicht unbedingt das Internet: Mit der Einführung des sogenannten OPAC, des Online Public Access Catalogue, verändert sich das bibliothekarische Arbeiten von Grund auf. Mitarbeiter:innen pflegen Medien nun nicht mehr in einen Zettelkatalog ein, sondern erfassen, katalogisieren und ordnen diese in einem elektronischen System. 1995 erfolgt diese Umstellung in der Stadtbücherei Augsburg; 2001 ist der OPAC auch online verfügbar. In der Folge verschiebt sich auch das Verhältnis zwischen den Nutzer:innen und Bibliothekar:innen. Nachdem letztere lange über das alleinige Expert:innenwissen verfügen, begegnen sich Bibliothekar:innen und Nutzer:innen heute stärker auf Augenhöhe. 

 

Im Jahr 2001 erstellt die Stadtbücherei in Augsburg auch ihre erste Homepage. Aus heutiger Sicht vielfach der wichtigste Zugang zur Bibliothek – noch bevor die Eingangspforte am Nordende des Ernst-Reuter-Platz genutzt wird. Mit der Eröffnung des neuen Standorts 2009 kommt auch die Verbuchung von Medien per RFID (Radio Frequency Idenitifkation) hinzu. Eine Technologie, die Medien automatisch sichert und verbucht – unabhängig von verfügbarem Personal. Mit der Einführung der sogenannten 'Onleihe', welche den Zugang zu Medien auch von zuhause aus möglich macht, vollzieht sich vielleicht der letzte, entscheidende Schritt im Wandel von Bibliotheken: „Ging man früher in die Bibliothek, weil man ein Buch gesucht hat, um es abzuholen und wieder zu gehen, gehe man heute hin, weil man sich wohlfühlt – erst dann greift man vielleicht zu einem Buch oder einer Zeitschrift“, beschreibt es Manfred Lutzenberger. Entsprechend hat sich auch die Augsburger Bibliothek angepasst. Der Fokus liegt auf dem, was viele Architekt:innen und Bibliothekar:innen als 'Aufenthaltsqualität' bezeichnen: Eine ansprechend gestaltete Architektur, eine Möblierung, die zum Aufenthalt einlädt, ein Café, das zum Verweilen anhält. Wohlfühlen steht im Vordergrund. Und jetzt? Mit Corona? 

 

Durch die Pandemie ist die Stadtbücherei teils auf alte, schon als längst überholt geglaubte Funktionen und Nutzungsmuster zurückgeworfen. Wegen Corona mussten Bibliotheken lange schließen. Seit März 2020 waren sie höchstens für kurze Zeiträume geöffnet, jeweils für eine begrenzte Anzahl von Personen, mit beschränkten Öffnungszeiten oder nur zur Abholung und Rückgabe von Medien. Tanja Erdmenger, die aktuelle Leiterin der Augsburger Stadtbücherei, fasst den pandemiebedingten Betrieb wie folgt zusammen: „Zack, reingehen, fünf, sechs Bücher ausleihen, zack, wieder raus“. Gepolsterte Sofas und gemütliche Sessel, die sonst zum langen Aufenthalt anregen, sind zu gefährlichen Einfallstoren für das Virus geworden. Besonders aufenthaltsfreundliche Möbel mussten weggeschlossen werden. Innovative Bibliothekskonzepte, wie die Idee der 'Open Library', die es vorsieht, Bibliotheken außerhalb der Arbeitszeiten des Servicepersonals jederzeit betreten und nutzen zu können (und schon im letzten Jahr in der Stadtteilbibliothek Lechhausen hätte umgesetzt werden sollen) stehen im Konflikt mit den notwendigen Vorgaben des Infektionsschutzes. Die Folgen von Digitalisierung auf Bibliotheken, die nun – ähnlich wie das Internet – jederzeit erreichbar und verfügbar sein wollen, darüber hinaus aber noch einen Ort zum Wohlfühlen anbieten können, sind auf ein Minimum zurückgefahren. Tanja Erdmenger ist allerdings fest davon überzeugt, dass es sich bei diesen Einschnitten nur um temporäre Veränderungen handelt: Wenn die Wohnung nach Corona zu eng geworden sein wird, wird auch die Bibliothek als Aufenthaltsort wieder eine größere Rolle spielen. 

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